Veränderung in Unternehmen: Es ist Zeit für eine Change-Diät

von Caterine Schwierz

„Change mich am Arsch“ – dieses viel beachtete Buch, das den Veränderungswahnsinn in deutschen Unternehmen thematisiert, hat Axel Koch 2018 veröffentlicht. Es erklärt, warum wir nicht so weitermachen können und gibt viele praktische Hinweise, wie es besser funktionieren kann. Ein Buch, das auf seltene Weise einen hohen Unterhaltswert mit fundierter wissenschaftlicher Expertise vereint. Sein Gastartikel im Human Resources Manager zählt zu den meist gelesenen Beiträgen des Magazins im letzten Jahr. Grund genug für mich, Professor Koch für ein Gespräch zu treffen.

Hören Sie im 30-minütigen Podcast mit Prof. Dr. Axel Koch, …

  • ...was passiert, wenn Change die Menschen überfordert.
  • ...wie Führungskräfte eine Veränderung richtig angehen.
  • ...warum Personalentwicklung oft gut gemeint, aber nicht hilfreich ist.
  • ...warum übertriebene Veränderungsbereitschaft krank macht.
  • ...wie das Modell der Veränderungsbalance im Change Management hilft.

Interview mit Prof. Dr. Axel Koch
 

Warum funktioniert veränderung nicht?

Caterine Schwierz: Was war für Sie die Motivation, das Buch „Change mich am Arsch“ zu schreiben?

Prof. Dr. Axel Koch: Ich bin seit über 20 Jahren im Bereich Training und Change-Begleitung aktiv. Dabei kam ich immer wieder in Konfliktsituationen. Auf der einen Seite war ich dafür zuständig, Menschen in Entwicklungsprozessen zu begleiten, zu Change zu motivieren, neue Kompetenzen zu entwickeln. Auf der anderen Seite erlebte ich, dass Menschen am Change leiden. Veränderungen sollen sie zu etwas bringen, das sie selbst gar nicht wollten. Die Frage wurde für mich immer lauter: Warum funktioniert Veränderung nicht? Das ist nun in meinem Buch nachzulesen.

Caterine Schwierz: Vieles läuft schief, haben Sie mit Blick auf die hohe Veränderungsgeschwindigkeit in Unternehmen festgestellt. In Ihrem Buch beschreiben Sie anhand zahlreicher Beispiele, wie Führungskräfte im Change an ihren Mitarbeitern vorbei agieren. Welche Folgen hat dieses Verhalten?

Prof. Dr. Axel Koch: Viele Menschen entwickeln in diesen rasanten Veränderungen das innere Gefühl, dass es nicht passt, dass es irgendwie zu viel ist. Aber aus verschiedensten Gründen machen sie weiter wie bisher. Daraus entstehen Belastungen, sogenannte Anpassungserkrankungen. Das ist so ähnlich wie bei einem Baum, der durch Maschendraht wächst. Das schafft er, aber er sieht deformiert aus. Das zeigen auch Studien. Wenn der Change die Menschen überfordert, entwickeln sie Stresserkrankungen. Leider wird das Thema kaum beleuchtet. Es wird immer noch weiter am Beschleunigungsrad gedreht.

Change-Diät bedeutet für Führungskräfte, sich auf den nächsten machbaren Schritt zu fokussieren, den die Mitarbeiter auch mitgehen können. Und dann maßzuhalten.

Caterine Schwierz: Was sollten Führungskräfte aus Ihrer Sicht unbedingt beachten, um es besser zu machen?

Prof. Dr. Axel Koch: Ohne Change ist natürlich keine Lösung. Ich bin für Change, aber er muss machbar sein. Ich habe das Bild der Change-Diät entwickelt. Und das bedeutet, sich zu fokussieren und Maß zu halten. Menschen verändern Verhalten nur langsam. Deshalb bedeutet Change-Diät für Führungskräfte, sich auf den nächsten machbaren Schritt zu fokussieren, den die Mitarbeiter auch mitgehen können. Und dann maßzuhalten. Wenn sie nämlich zu viel auf einmal wollen, dann geht gar nichts.

Um ein Beispiel zu nennen: In einem Unternehmen herrschte eine Schuldzuweisungskultur. Wenn ich in dieser Kultur Feedbackgespräche einführen möchte, also in konstruktiver und wertschätzender Weise Gespräche zu führen, dann ist das im Sinne der Gesprächsführung gar nicht so schwierig. Aber den Schwenk im Kopf hinzubekommen, das innerlich stimmig zu machen, das dauert. Meine Transferstärke-Forschung zeigt, dass so ein Veränderungsschritt gut drei Monate braucht. Und dass nur 20 % der Menschen überhaupt so transferstark sind, um solche Veränderungen ohne Unterstützung hinzubekommen.

In der Praxis beobachte ich immer wieder, dass ganz viel in sehr kurzer Zeit passieren soll. Wir kennen in der Psychologie dafür einen Begriff: das False-Hope-Syndrom.

Wir brauchen gute Begleitungsprozesse, damit Menschen diese Veränderung schaffen. Und wir müssen bedenken, dass viele kleine Schritte zu einer Veränderung führen. In der Praxis beobachte ich aber immer wieder, dass ganz viel in sehr kurzer Zeit passieren soll. Wir kennen in der Psychologie dafür einen Begriff – das False-Hope-Syndrom. Die falsche Erwartung, wie Veränderung funktioniert. Meine Botschaft ist: Hört auf damit, mit falschen Gesetzmäßigkeiten der Veränderung zu operieren. Das ist so ähnlich, als würde ich glauben, ein Toaster könne Luftsprünge machen.

Personalentwicklung nach dem Baumarktprinzip

Caterine Schwierz: Sie beobachten auch bei der Personalentwicklung gut gemeinte aber oft nicht hilfreiche Praktiken. Sie nennen das „Personalentwicklung nach dem Baumarktprinzip“. Was nicht passt, wird passend gemacht. Was geschieht mit Menschen, wenn so gehandelt wird?

Prof. Dr. Axel Koch: Das Baumarktprinzip ist von der Idee getragen, dass man alles lernen kann, wenn man nur will. Alles ist machbar. Natürlich gibt es die Plastizität des Gehirns. Auf der anderen Seite hat die Persönlichkeitspsychologie erkannt, dass vieles schon sehr gut im Kopf etabliert ist. Wenn ich da etwas verändern möchte, dann ist das wie Datenautobahnen abbauen.

Was passiert, wenn ich einen Mitarbeiter dorthin bringen möchte, wo er eigentlich gar nicht hinwill? Zum Beispiel der Sachbearbeiter, der ins Call Center geht, weil sonst kein Platz mehr für ihn ist. Selbst wenn Menschen veränderungsfreudig sind, fühlt sich das für sie vielleicht nicht gut an. Im besten Fall üben sie, setzen sich mit den neuen Aufgaben auseinander. Vielleicht haben sie einen Chef oder einen Personalentwickler, die sie besonders unterstützen möchten und den Mitarbeiter trainieren oder coachen. Aber trotzdem entwickelt sich ein Selbstzweifel, dass sie nicht ankommen, dass die neue Aufgabe nicht das Richtige ist. In dieser Situation, in der ein Mitarbeiter trotz Training und Lernen nicht ankommt, muss er die Notbremse ziehen können.

Darauf wird heute noch zu wenig der Blick gelenkt. Der Mitarbeiter hat Angst, dass er seinen Job verliert, wenn er nicht mitmacht. Und Unternehmen wollen verantwortlich handeln, wollen Mitarbeiter halten. So werden in positiver Absicht Menschen entwickelt. Manchmal wäre es aber die bessere Lösung, sich in die Augen zu schauen und sich einzugestehen, dass es so nicht geht.

In dieser Situation, in der ein Mitarbeiter trotz Training und Lernen nicht ankommt, muss er die Notbremse ziehen können.

Caterine Schwierz: An Ihrem Buch gefällt mir besonders, dass Sie dem Einzelnen viele Hinweise geben, auch ohne die perfekte Führungskraft oder die genau hinschauende und nachfragende Personalentwicklung handlungsfähig im Change zu bleiben. Was sind die Verhaltensweisen oder auch Denkmodelle, die Sie als besonders hilfreich beschreiben?

Prof. Dr. Axel Koch: Es gibt zwei Grundhaltungen im Change. Das eine ist die Gestalterhaltung, das andere die Opferhaltung. Es liegt nahe, dass die Gestalterhaltung die bessere Option ist. In der Gestalterhaltung nutzen wir unseren Einfluss. Es gibt da eine Faustformel: Gehen Sie immer davon aus, dass Sie mehr Einfluss und Gestaltungsoptionen haben, als Sie zunächst annehmen. Gestalten heißt, darauf zu schauen, was man selbst tun kann, auf seine Fähigkeiten zu vertrauen, proaktiv und vorbereitet zu sein.

Veränderungsbalance schaffen

Caterine Schwierz: Bei aller geforderten Veränderungsbereitschaft mahnen Sie vor übertriebener Anpassung. Offensichtlich ist das ein von Ihnen häufig beobachtetes Phänomen. Was genau bedeutet das und wie können Mitarbeiter dem entgehen?

Prof. Dr. Axel Koch: Es gibt einen großen Wert: Flexibel sei der Mensch, biegsam und gut. Es geht um lebenslanges Lernen. Es geht um Veränderungsoffenheit. Das finde ich per se auch gut. Es kommt aber ein Punkt, wo manche vor lauter Veränderungsbereitschaft schon rechts überholen. Wo Menschen sich selbst als die Schuldigen sehen, immer wieder Versuche unternehmen, sich zu optimieren. Es geht um die Balance. Was krank macht, kann nicht gut sein. Meine Botschaft ist: Hören Sie auf sich und nehmen Sie Ihre Gefühle und Empfindungen ernst.

Caterine Schwierz: Sie haben in Ihrem Buch das Modell der Veränderungsbalance entwickelt. Was verbirgt sich dahinter und wie können Führungskräfte und Personalverantwortliche das Modell nutzen?

Prof. Dr. Axel Koch: Das Modell ist ein Vierfelderschema. Die Achsen heißen Veränderungstempo und Veränderungsausmaß. In dieser Kombination heißt es die Frage zu stellen, ob sich Mitarbeiter noch in einer Veränderungsbalance befinden, oder ob schon ernsthafte Warnsignale sichtbar sind. Vielleicht bewegt sich ein Mitarbeiter in einer Zone, die überhaupt nicht zu seiner Persönlichkeit passt. Oder bei einem Mitarbeiter helfen auch Übung und Wiederholung nicht, um in einem neuen Umfeld oder einer neuen Aufgabe anzukommen.

Sich dieser Mechanismen bewusst zu werden, dafür ist das Modell gedacht. Ich empfehle dieses Modell Führungskräften, um zu sehen, in welchem Feld sich die Mitarbeiter bewegen. Erst wenn ich das weiß, kann ich auch geeignete Maßnahmen ergreifen.

Eines müssen wir uns klarmachen: Change ist immer on-top und geschieht in großer Geschwindigkeit. Darum müssen wir als Unternehmen und Führungskräfte wachsam sein. Mein Modell kann dabei helfen.

Über Prof. Dr. Axel Koch

Axel Koch, geboren 1967, ist Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning. Er ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet selbst seit über 20 Jahren als Trainer und Personalentwickler. In dieser Funktion hat er tiefe Einblicke in zahlreiche Unternehmen und die gängige Praxis von Change-Prozessen gewonnen. Seinen ersten Bestseller „Die Weiterbildungslüge“ veröffentlichte er 2008 unter dem Pseudonym Richard Gris. 2018 ist sein viel beachtetes Buch „Change mich am Arsch“ erschienen.

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