Wie Machtstrukturen Transformation beeinflussen – und was HR daraus lernen kann

Rezension von Toralf Kleinsorge.

Unser Autor Toralf Kleinsorge hat für Sie “Psychologie der Macht” von Prof. Dr. Carsten Schermuly gelesen. Sein Urteil: Ein kluges Buch für alle, die Transformation aktiv mitgestalten wollen!

 

 

 

Angesichts der Transformationskrise der deutschen Volkswirtschaft müssen sich HR-Verantwortliche in Großunternehmen und im industriellen Mittelstand zunehmend mit Restrukturierungen auseinandersetzen. Diese sollen entweder kurzfristig die Kosten senken oder das gesamte Unternehmen bzw. einen Bereich für den Verkauf „hübsch“ machen. Oder HR-Experten finden sich in einem ambitionierten Transformationsprojekt wieder, dessen Schattenseiten sie erst nach und nach entdecken. In beiden Fällen wird die Ausübung von Macht eine wichtige Rolle für den Erfolg des Projekts und fast immer auch für die eigenen Karriereaussichten im Unternehmen spielen. Allerdings wird das Thema Macht in den meisten Unternehmen immer noch tabuisiert und die reale Verteilung von Machtressourcen allzu oft verschleiert.

Das neue Buch von Prof. Dr. Carsten Schermuly, der Wirtschaftspsychologie an der SRH Berlin University of Applied Sciences lehrt und als Organisationsberater tätig ist, kann hier wertvolle Impulse geben. Es zeigt auf, wie der Umgang mit Macht transparenter gestaltet und diese für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen konstruktiv eingesetzt werden kann.

Die Psychologie der Macht: Wie sie uns und das Zusammenleben  prägt  von Prof. Dr. Carsten Schermuly, 2025, campus (ISBN 9783689510480 )

Wie Macht die Persönlichkeit und das Verhalten von Menschen verändert

Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile, die beide eine aufmerksame Lektüre verdienen. Mancher Leser wird versucht sein, sogleich in den praxisorientierten zweiten Teil zu springen. Wer auf diese Weise eine schnelle Orientierung erhalten möchte, um die Werthaltigkeit des Buches für das eigene Arbeitsfeld zu prüfen, kann dies gern so tun. Es ist aber unbedingt zu empfehlen, die eigene Lesezeit auch für den ersten Teil zu investieren, der die Grundlagen, Definitionen und psychologischen Wirkmechanismen von Macht erläutert. Schermuly differenziert dabei präzise zwischen Macht und Status, beleuchtet die Dynamik von Hierarchien und skizziert anhand von empirischen Studien, wie Macht die Persönlichkeit und das Verhalten von Menschen verändert. Hier liegt eine der Stärken des Buches, dessen Autor es versteht, das Setting und die Ergebnisse aufwändiger wissenschaftlicher Studien in einem flüssig und verständlich geschriebenen Stil zu vermitteln. Wer bei bestimmten Studien oder Fragestellungen tiefer einsteigen möchte, findet im 9-seitigen Literaturverzeichnis spannende Absprungpunkte.

Machtlandkarte als Ergänzung zum Organigramm

Im zweiten Teil steht der verantwortungsvolle Umgang mit Macht im Mittelpunkt– sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. Hier erhält der Leser praxisnahe Impulse für die Reflexion eigener Machtmotive, die Gestaltung von Strukturen und die Entwicklung einer „Machtlandkarte“ als Ergänzung zum klassischen Organigramm. Gerade in der Vorbereitung von Restrukturierungs- und Transformationsprojekten lohnt es sich, über die Vor- und Nachteile der Nutzung einer „Machtlandkarte“ offen und kritisch nachzudenken. Für deren Einsatz sollten in der Organisation auf unterschiedlichen Ebenen Fürsprecher gefunden werden. Diese zu erkennen und im persönlichen Gespräch zu überzeugen, ist eine Kunst, die das Buch zwar nicht direkt vermitteln kann, aber es kann zumindest wichtige Anregungen für den eigenen Weg vermitteln. 

 

Schermuly versteht es sehr gut, den allgegenwärtigen und vielschichtigen Charakter von Macht zu beschreiben, die nicht nur von Inhabern formalen Positionen ausgeübt wird, sondern sich auch in der der Nutzung von informellen Ressourcen wie Wissen, Netzwerken oder persönlicher Ausstrahlung entfaltet. 

Vielen ist der Begriff der „Machtmetamorphose“ aus der langjährigen Beobachtung im betrieblichen Alltag vertraut, die zu geringerem Einfühlungsvermögen, impulsiverem Verhalten und einer erhöhten Bereitschaft zu riskanten Entscheidungen führen kann. Der Autor belegt dies mit aktuellen Studien und warnt vor ihren Gefahren. 

Nicht wenige Unternehmenskrisen, die nun eine harte Restrukturierung einfordern, sind auch Folgen von einer zu starken Machtkonzentration, die radikale Marktveränderungen zu lange ignoriert hat und kostenaufwändige und risikobehaftete Innovationprozesse blockiert hat. Schermuly argumentiert anschaulich, dass geteilte Macht Offenheit, Kooperation und bessere Entscheidungen fördert und damit zum Motor für Innovation werden kann.

Einer der wichtigsten Impulse des Buches ist sein Werben für Empowerment-orientierte Führungsstile und die bewusste Auswahl von Führungspersönlichkeiten, die Macht verantwortungsvoll einsetzen. Im Vorfeld einer Restrukturierung werden sich diese nicht kurzfristig einführen lassen, aber nach ihrer „heißen“ Phase, wenn die Organisation ohnehin im Modus der Neufindung ist, sollten diese schrittweise implementiert werden. Davon werden mittelfristig angelegte Transformationen, die sich häufig an eine Restrukturierung anschließen, unmittelbar profitieren. 

Reflexion und Transparenz im Umgang mit Macht ziehen sich als Imperative durch den zweiten Teil. Das Instrument der „Machtlandkarte“ kann hier optimal unterstützen, wenngleich seine Vorbereitung und Umsetzung wie oben geschildert Fingerspitzengefühl und Verbündete benötigen.

Fazit

Wer auf einen Ratgeber im Machiavelli-Stil hofft, wird enttäuscht werden. Hier bietet der Buchmarkt viele Alternativen. Wer hingegen Ideen und Konzepte kennenlernen möchte, um Machtstrukturen im Unternehmen zu erkennen, Führungskräfte für die psychologischen Auswirkungen von Macht zu sensibilisieren und Empowerment als Führungsprinzip zu implementieren, wird sich an dem Buch auch längerfristig  erfreuen.

Über den Autor

Toralf Kleinsorge

Senior Consultant

Toralf Kleinsorge berät HR-Verantwortliche in Berlin und Brandenburg zu den Themen Neuorientierung für Führungskräfte, Restrukturierung in der Krise und Transformation im Strukturwandel. Zugleich erarbeitet er Projekt- und Eventkonzepte sowie Studien zur Workforce Transformation in Großunternehmen und im industriellen Mittelstand.