Ein Beitrag von Christian Summa
Mit ChatGPT des Anbieters Open AI scheint der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen eine neue Entwicklungsstufe erreicht zu haben. Die Folgen für die Arbeitswelt in den nächsten Jahren können heute nur grob skizziert werden. Der Hype um ChatGPT in den letzten Monaten illustriert allerdings sehr gut, dass wir die kurzfristigen Auswirkungen – wie bereits bei früheren technologischen Durchbrüchen – überschätzen. Gleichzeitig unterschätzen wir jedoch die längerfristigen Konsequenzen für Arbeitsplätze und Beschäftigungsverhältnisse, die maßgeblich von HR mitgestaltet werden. In den HR-Abteilungen unserer Kundenunternehmen sehen wir eine große Bandbreite an Reaktionen auf die neuen KI-Tools, die von großer Euphorie bis zu tiefer Skepsis reichen.
Die technologische Dynamik macht es unmöglich, ein detailliertes Zielbild des KI-Einsatzes z.B. für das Jahr 2026 zu entwerfen. Unsere Vorstellung von Entwicklungslinien ist zu stark linear geprägt, um realistische Projektionen zu erstellen. Dennoch sollte sich HR bereits heute intensiv mit KI am Arbeitsplatz, insbesondere im White Collar-Bereich, auseinandersetzen und dabei auch externes Know-how einbeziehen. Hierbei sind unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen, z. B. arbeitsrechtliche oder arbeitspsychologische Fragestellungen.
Diese drei Trends werden Jobprofile sowie die Art der Zusammenarbeit in den nächsten Jahren stark verändern:
In den letzten drei Jahrzehnten konzentrierten sich Rationalisierung und Automatisierung auf den Bereich der Blue-Collar-Beschäftigten, die zu einem erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen in der Industrie führte. In den 2010er Jahren weitete sich der Schwerpunkt der Optimierung allmählich auf Tätigkeitsprofile im Office-Bereich von Unternehmen aus, z. B. durch den Einsatz von Chatbots in Call Centern von Banken oder in der Schadensbearbeitung in Versicherungen.
Gerade akademisch geprägte Berufsgruppen wie beispielsweise Marketing und Vertrieb sahen für sich keine technologischen Gefahren, da die menschliche Kreativität sie schützen würde. Die Dynamik der KI-Entwicklung bringt dieses Selbstbild bereits zum Wanken (Sprung von ChatGPT-Version 3.5 auf 4.0). Obwohl wir alle derzeit noch die Beta-Versionen testen, sollten wir uns im Klaren sein, dass KI-Tools in den nächsten Jahren auch höher qualifizierte Jobprofile massiv verändern werden, teilweise sogar komplett ersetzen werden. Das löst bei den betroffenen Beschäftigten in den Unternehmen geradezu gegensätzliche Reaktionsmuster aus, die von arroganter Ignoranz bis hin zu großen Ängsten reichen.
Meine Empfehlung: Hier sollte HR frühzeitig Angebote zur Information und zur Stärkung der Resilienz im Umgang mit unbekannten Technologien machen. Gleichzeitig sollte mit dem Management und den Führungskräften abgestimmt werden, wie die Beschäftigten zu einem neugierigen und experimentierfreudigen Umgang mit KI ermutigt und befähigt werden können.
Die meisten Unternehmen verfügen über vielfältige Erfahrungen bei der Einführung von IT-Lösungen, wie z.B. SAP, die sie allzu oft gern auf die Einführung von KI übertragen möchten. Da sich aber die standardisierte Schnittstelle zwischen einem menschlichen Anwender und einem klassischen IT-Programm radikal von der dynamischen Schnittstelle zwischen Mensch und KI unterscheidet, sind hier völlig neue Ansätze erforderlich.
Hier gilt es, in jedem Unternehmen einen Mittelweg zu finden, der einerseits die Überregulierung vermeidet und andererseits die vielfältigen Risiken in den Bereichen Datenschutz, Cybersicherheit, Gesundheitsschutz der Beschäftigten usw. frühzeitig erkennt. Wer das große Potenzial von KI für mehr Wettbewerbsfähigkeit und die Innovation von Geschäftsmodellen ausschöpfen möchte, wird diese Balance immer wieder neu finden müssen. Dies stellt die internen Stakeholder Management, Führungskräfte und Betriebsrat vor immer wieder neue Herausforderungen und erfordert eine kontinuierliche Einbindung externer Expertise in den Bereichen Technologie, Arbeitsrecht und Workforce Transformation.
HR hat hier die Chance, sich zu einem echten Orchestrator zu entwickeln und seinen Beitrag zur Wertschöpfung zu erhöhen und gleichzeitig eine höhere Sichtbarkeit im Unternehmen zu erlangen.
Die scheinbar mühelose Lieferung von fertigen Texten, Bildern, Programmierbausteinen etc. durch KI-Lösungen führt nicht selten zu der Illusion, dass nun weniger Weiterbildung notwendig sei. Es mag paradox klingen, aber gerade die „verführerische“ Lösungsvielfalt der KI erfordert ganz neue Anstrengungen in der betrieblichen Weiterbildung. Diese war bis vor kurzem weitgehend auf den heutigen Arbeitsplatz ausgerichtet. Dies ermöglichte eine stabile Budgetplanung und motivierte die meisten Beschäftigten zur Teilnahme. Da die neuen KI-Technologien die bisherigen Arbeitsplätze in einer heute noch nicht absehbaren Weise verändern werden, ist ein Umdenken und eine integrierte Betrachtung von betrieblicher Weiterbildung und Arbeitsleistung erforderlich.
Wir sprechen daher vom lernenden Arbeiten. Bei der Umsetzung kommt HR eine entscheidende Rolle als Impulsgeber, Organisator und Koordinator zu, um Führungskräfte und Beschäftigte auf diesen anstrengenden wie anspruchsvollen Weg mitzunehmen.
Statt wie bisher standardisierte Programme zu erstellen, werden in den nächsten Jahren integrierte Angebote wichtiger werden, die Skill-Analysen, die Stärkung der Arbeitsmarkt-Fitness und vielfältige Formen des beruflichen Lernens on the job und off the job für den einzelnen Arbeitnehmenden kombinieren. Da sich aufgrund der Digitalisierung 2.0 auch die Kooperation von Unternehmen stark verändern wird und Unternehmensgrenzen fließender werden, wird gleichzeitig auch die Flexibilität der Beschäftigten gefördert. Das Festhalten an starren Karrierepfaden und an einer trügerischen Arbeitsplatzsicherheit bei einem renommierten Arbeitgeber weicht allmählich dem Empowerment und der Selbstwirksamkeit für den beruflichen Lebensweg.
Mehr über Skill-Analysen erfahren Sie unter: https://www.rundstedt.de/workforce-transformation/kompetenzanalyse
Christian Summa
Christian Summa ist Geschäftsführer und Partner bei von Rundstedt. In seiner Rolle als Chief Consulting Officer leitet er bundesweit die Kundenbetreuung in Restrukturierungen sowie Personalumbau- und -abbauprojekten. Seit 2004 hat der diplomierte Betriebswirt als Partner und in verschiedenen Vertriebspositionen bei von Rundstedt die Beratungslösungen entscheidend weiterentwickelt, zuletzt als Director Workforce Transformation. Seit 2020 teilt er sich die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft Rundstedt Transfer GmbH mit Sophia von Rundstedt. Vor seinem Einstieg bei von Rundstedt war er in den Branchen Luft- und Raumfahrt sowie Automotive tätig.
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