Fällige Sozialplanabfindung trotz Sozialplananfechtung.

Zur Dotierung von Sozialplänen

Die Transformation in die Arbeitswelt 4.0 hat sich massiv beschleunigt. In der Automobilindustrie sind geradezu radikale Veränderungen im Gang. Personalabbaumaßnahmen rücken wieder in den Fokus. Sozialpläne sind dabei ein erheblicher Kostenfaktor. Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht, entscheidet eine Einigungsstelle unter angemessener Berücksichtigung der betrieblichen Belange und der der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen, §§ 76 V 3, 112 V 2 BetrVG. Zwar ist (nur) die Überschreitung des Ermessens gerichtlich überprüfbar; dennoch können Ansprüche aus einem angefochtenen Sozialplan unabhängig von der Rechtskraft des Anfechtungsverfahrens fällig werden, urteilte das Bundesarbeitsgericht Anfang 2025 (BAG, Urt. vom 28.01.2025, 1 AZR 73/24).

 

Worum ging es?

Nach einem durch Einigungsstellenspruch zustande gekommenen Sozialplan stand Gekündigten mit Abschluss des Sozialplans und rechtlichem Ende des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zu. Die Arbeitgeberin hielt den Plan für überdotiert und focht ihn deshalb an. Auch meinte sie, die Abfindungen würden erst mit Rechtskraft des Anfechtungsstreits fällig. Die Anfechtung blieb auch beim BAG erfolglos: Die Entscheidung im Anfechtungsstreit habe feststellende, aber keine rechtsgestaltende Wirkung. Das Arbeitsgericht beurteile nur, ob die Einigungsstelle die ihr gesetzlich vorgegebenen Ermessensgrenzen eingehalten habe. Da dies der Fall war, musste die Arbeitgeberin zusätzlich zur Abfindung (rund 46.000,- €) auch Verzugszinsen in Höhe von rund 3.400,- € zahlen. 

 

Was zeigt das?

Es ist also riskant, im Streit über die Sozialplandotierung auf den Spruch einer Einigungsstelle und/oder dessen gerichtliche Kontrolle zu vertrauen. In jedem Fall sollten die Regeln der Sozialplandotierung bekannt sein. 

Ober- und Untergrenze

Ein Sozialplan soll wirtschaftliche Nachteile von Arbeitnehmern aus einer Betriebsänderung ausgleichen oder mildern, § 112 I 2 BetrVG. Beide Alternativen sind gleichrangig, daher liegt es im Ermessen der Einigungsstelle, welche Nachteile ausgeglichen und welche nur gemildert werden.

Die Leistungen eines Sozialplans müssen zumindest als Milderung anzusehen sein (Untergrenze); umgekehrt erwartet das Gesetz nicht mehr als den (vollen) Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Arbeitnehmer (Obergrenze).

Wirtschaftliche Vertretbarkeit

Die wirtschaftliche Vertretbarkeit bildet die äußerste Grenze, vgl. § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, und hängt von der wirtschaftlichen Potenz des betriebsändernden Unternehmens ab. Zu berücksichtigen ist etwa das Verhältnis zwischen Aktiva und Passiva und die Liquiditätslage des Unternehmens, außerdem auch, zu welchen Einsparungen die Betriebsänderung führt, deren Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer auszugleichen sind. Bei wirtschaftlich schwachen Unternehmen kann ein Sozialplan zu einschneidenden Belastungen „bis an den Rand der Bestandsgefährdung“ reichen (BAG). Geriete aber der Fortbestand des Unternehmens in Gefahr, kann kein vollständiger Ausgleich der Nachteile erfolgen; die Einigungsstelle kann dann die Dotierungsuntergrenze unterschreiten und von einer substanziellen Nachteilsminderung absehen. Die Erfüllung von Sozialplanverbindlichkeiten darf nicht zur Illiquidität, zu bilanzieller Überschuldung oder einer nicht mehr vertretbaren Schmälerung des Eigenkapitals eines Unternehmens führen.

Nachteile und ihre bemessung


§ 112 Abs. 5 BetrVG nennt als exemplarische Nachteile Einkommensminderungen, den Wegfall von Sonderleistungen, den Verlust von Anwartschaften auf betriebliche Altersvorsorge, Umzugs- und erhöhte Fahrtkosten. Ohne alle im Gesetz aufgeführten potenziellen Nachteile ausgleichen oder mindern zu müssen, kann eine Einigungsstelle

  • bewusst von einem Nachteilsausgleich absehen,
  • nach der Vermeidbarkeit der Nachteile unterscheiden und
  • Pauschalierungen vornehmen, was in der Praxis häufig anhand der Kriterien Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten erfolgt. 

Für Sonderfälle wie z.B. Schwerbehinderung muss Raum bleiben.

Zur Bemessung der Nachteile darf die Einigungsstelle Pauschalannahmen zugrunde legen. Beispiel: Alter betroffener Mitarbeiter und ihre damit mehr oder weniger verbundenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt. 

Lehnen Mitarbeiter eine zumutbare Weiterbeschäftigung ab, dürfen sie von Sozialplanleistungen ausgenommen werden. Beispiel: Es erfolgt ein Betriebsübergang und betroffene Arbeitnehmer widersprechen dem Übergang. Die Einigungsstelle entscheidet auch, was zumutbar ist.

lässt sich eine Transfergesellschaft über einen Sozialplan erzwingen? 

Das ist ungeklärt. Überwiegend gilt es als unzulässig, einem Arbeitgeber selbst die Gründung einer Transfergesellschaft aufzuerlegen; demgegenüber wird es zumindest teilweise für vertretbar gehalten, einen Arbeitgeber im Sozialplan zur Einschaltung und Finanzierung einer von einem Dritten realisierten Transfergesellschaft zu verpflichten.

 

Konsequenzen für die Praxis

Zur Vermeidung von Anfechtungsprozessen ist es erstrebenswert, bei Betriebsänderungen einen Sozialplan im Konsens zu vereinbaren. So oder so sind Sozialplanverhandlungen und die Sozialplandotierung eine schwierige Materie, deshalb sollte kein Arbeitgeber sie ohne sachkundigen Beistand führen. Nicht zuletzt – das o.g. Urteil des BAG zeigt dies deutlich – ist große Sorgfalt auf die Fälligkeitsregelungen in einem Sozialplan zu verwenden. 

Freiwilligkeitsprogramme sind alternativ wie kumulativ zu prüfen. Auch dabei steckt der Teufel oft im Detail, so dass auch insoweit sachkundiger Rat dringend zu empfehlen ist.

Über den Autor

Axel J. Klasen

Fachanwalt für Arbeitsrechts

Axel J. Klasen, Mitglied der 30köpfigen Praxisgruppe Arbeitsrecht bei GvW, berät im gesamten Arbeitsrecht, insbesondere im Kollektivrecht. Seine umfangreiche Praxiserfahrung aus mehrjähriger Tätigkeit vor Ort in Unternehmensinsolvenzen und aus seiner Personalleitertätigkeit bringt er in seine anwaltliche Beratung ein, die sich grenzüberschreitend auch auf im Ausland ansässige oder von dort geführte Mandanten erstreckt.